Neue Sonderausstellung im Kaisertrutz: »Nationalsozialismus in Görlitz – 80 Jahre Kriegsende«
vom 20.03.2025

Plakat - Rechte: Görlitzer Sammlungen
Die Görlitzer Sammlungen widmen sich in einer neuen Sonderausstellung erstmals umfassend der Geschichte der Stadt während der NS-Zeit. Vom 22. März bis zum 14. Dezember 2025 wird im Kaisertrutz die Schau »Nationalsozialismus in Görlitz – 80 Jahre Kriegsende« präsentiert. Die Ausstellung beruht auf über einjähriger Forschungsarbeit und wird am 21. März feierlich eröffnet.
Im Mittelpunkt stehen die persönlichen Geschichten der Görlitzerinnen und Görlitzer zwischen 1933 und 1945 – ihre Alltagserfahrungen, Schicksale und die Auswirkungen des Krieges. Erstmals werden Biografien und Familiengeschichten präsentiert, die das Bild eines bisher wenig erforschten Kapitels der Stadtgeschichte nachzeichnen. Die Ausstellung spannt den weiteren Bogen vom 8. Mai 1945, der Görlitz für immer veränderte, bis zur polnischen Perspektive auf das Kriegsende und dessen Aufarbeitung in der DDR.
„Es ging uns weniger um spektakuläre Überraschungen. Die haben wir bei diesem Thema ohnehin nicht wirklich erwartet“, sagt Dr. Jasper v. Richthofen, Direktor der Görlitzer Sammlungen und Kurator der Ausstellung. „Ziel war es, die Zeit des Dritten Reichs auf eine regionale Ebene zu projizieren: Was spielte sich in Görlitz ab? Und siehe da, auch in Görlitz hat die NSDAP zur Reichstagswahl im November die meisten Stimmen erhalten. Auch in Görlitz wurden Vereine und Gesellschaften gleichgeschaltet und ‚arisiert‘. Auch in Görlitz gab es Opfer der NS-Krankenmorde. Es wurden Görlitzer, vor allem mit jüdischem Hintergrund, in Konzentrationslagern ermordet. Eine bedeutende Rüstungsindustrie vor Ort wurde mit Zwangsarbeitern betrieben. Und auch die Görlitzerinnen und Görlitzer waren in erheblichem Ausmaß den Gräueln der ‚Befreiung‘ und Besetzung durch die Rote Armee ausgesetzt.“
Die Ausstellung basiert auf umfangreichen Nachforschungen, Archivrecherchen und Zeitzeugengesprächen. „Die Resonanz der Stadtbewohner war gut“, berichtet Dr. Sven Brajer, Historiker und wissenschaftlicher Projektmitarbeiter. „Für mich war es eine spannende Erfahrung, die Wohnungen wildfremder Leute betreten zu dürfen. Hier spielt sicher auch das Museum als Vertrauensinstanz eine große Rolle. Ich wusste meist vorab nicht mehr, als dass es um die Eltern, Tanten, Onkel oder Großeltern dieser Menschen oder um ihre eigenen Erinnerungen ging. Meistens handelte es sich um tragische Geschichten. Gerade im letzten Kriegsjahr kamen noch viele junge Familienväter an der näherkommenden Front ums Leben. Ihren Kindern, die damals nur fünf oder sechs Jahre alt waren, blieben lediglich vage Erinnerungen, einige Fotos und das eine oder andere Andenken.“
Die Ausstellung wirft die Fragen auf: Wie konnte die NSDAP so schnell an die Macht gelangen? Und wie haben die Menschen in Görlitz diese Zeit erlebt? „Für mich persönlich überraschend war die Erkenntnis, in welcher Geschwindigkeit die NSDAP nach ihrer Wahl im November 1932, ab der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, den Staat umbauen konnte“, erläutert Dr. Jasper v. Richthofen. „Bis 1934 waren die wesentlichen Umstrukturierungen vollzogen, die Vereine arisiert und gleichgeschaltet, politische Widersacher eingesperrt und die Meinungsfreiheit und der Rechtsstaat abgeschafft.“
„Es ist höchste Zeit, diese Geschichte zu erzählen“
„Dass wir das Thema nun aufgreifen, wird von manchen als mutig bezeichnet. Über die Zuweisung ‚mutig‘ muss ich lächeln. Denn wir sind mit dem Thema viel zu spät dran“, so Dr. Jasper v. Richthofen. „Das Kriegsende ist inzwischen 80 Jahre her. Wir legen zwar den Schwerpunkt der Ausstellung auf Biographien von Görlitzern, aber die Zeitzeugen von damals gibt es kaum noch. Wir müssen ihre Geschichten jetzt erzählen.“
Besonders eindringlich sind zwei Exponate, die Richthofen tief berührt haben: „Das eine ist das anteilnahmslose Telegramm an eine Görlitzer Mutter. Es enthält die Nachricht, dass ihr Sohn im KZ Mauthausen in Oberösterreich ums Leben gekommen, also ermordet worden ist – unterschrieben durch den Lagerkommandanten der SS. Das andere Objekt ist der Abschiedsbrief des 23-jährigen Görlitzer Wehrmachtssoldaten Hermann Langer an seine Mutter. Er schreibt, dass er, wenn sie dies liest, bereits tot sei. Langer wird 14 Tage nach Abfassung des herzergreifenden Briefs in der ehemaligen Sowjetunion südlich des Ladogasees von einer Granate tödlich getroffen.“
Doch die Recherchen sind mit der Schau nicht abgeschlossen. „Immer mehr Quellen kamen durch die Interviews zum Vorschein“, sagt Dr. Sven Brajer. „Dagegen war die Aktenlage in den Archiven, zum Beispiel beim Thema Justiz, überschaubar. Die Görlitzer NS-Verwaltung hatte ganz offensichtlich noch kurz vor Kriegsende zahlreiches belastendes Material verschwinden lassen. Hier lohnt es sich, weiter zu forschen.“
Und die Ausstellung soll nachwirken. „In erster Linie und ganz materiell wird von unserem Projekt das Lesebuch bleiben“, so Dr. Jasper v. Richthofen. „Darin wird erstmals zumindest schlaglichtartig die Geschichte der Stadt Görlitz in der NS-Zeit erzählt. Außerdem erhoffe ich mir persönlich, dass die zu beobachtende Verharmlosung der NS-Diktatur, der vielleicht unbedachte, inzwischen wieder salonfähige Gebrauch von NS-Sprache oder NS-Zeichen durch die Gewinnung neuer Einsichten eingedämmt oder zumindest überdacht wird.“
Begleitprogramm und Angebote für Schulen
Ein umfassendes Begleitprogramm ergänzt die Ausstellung mit Führungen, Vorträgen, Diskussionsrunden, Zeitzeugengesprächen, einem Konzert des Lausitz Festivals und museumspädagogischen Angeboten. Bereits am 23. März um 15 Uhr führt Dr. Sven Brajer Besucherinnen und Besucher durch die zentralen Themen der Schau. Für Lehrkräfte gibt es spezielle Fortbildungen am 25. März und 8. April, jeweils um 16 Uhr.
Weitere Informationen zum Begleitprogramm und den Öffnungszeiten unter:
www.goerlitzer-sammlungen.de/nationalsozialismus-in-goerlitz.html
Ausstellungsort & Eintritt:
Ort: Kaisertrutz, Platz des 17. Juni 1, Görlitz
Laufzeit: 22. März bis 14. Dezember 2025
Eintritt: 2 € | Kinder & Jugendliche bis 18 Jahre: frei
Dreisprachige Ausstellung (Deutsch, Polnisch, einfache Sprache)