Wissenschaft
Jacob Böhme - der erleuchtete Schuster
Theosoph und Mystiker
Fragt man Nichtgörlitzer nach Jacob Böhme, wird man wohl nur große Fragezeichen und ein Schulterzucken ernten. Und selbst Görlitzer wissen schon viel, wenn sie sich dunkel entsinnen, dass es sich dabei um diesen Schuhmacher und Philosophen handelt, der als der bedeutendste Sohn unserer Stadt gilt. Von Zeitgenossen Böhmes, wie Johannes Kepler oder Galileo Galilei hat sicher jeder schon einmal gehört. Aber Böhme? Ganz Mutige haben vielleicht sogar einmal in seine Bücher geschaut, sie aber entnervt und kopfschüttelnd wieder weggelegt - nicht zu verstehen.
Und noch ein Problem: um 1600 brach in Europa ein neues Zeitalter an - das Zeitalter der Vernunft und des Rationalismus. Das Wissen über unsere Welt explodierte geradezu. Auf den Gebieten der Astronomie, der Physik und der Medizin wurden ständig neue Entdeckungen gemacht. Plötzlich brauchte man die Religion nicht mehr unbedingt, um die Welt zu erklären. Und da glaubte dieser kleine Schuster mit seiner Dorfschulbildung den Menschen einen neuen Weg zu Gott zeigen zu können?
1517 hatte Martin Luther mit seinem Protest gegen den Ablasshandel der römischen Kirche eine lange in der Luft liegende Reformation und sogar eine Kirchenspaltung ausgelöst. Der Versuch einer sozialen Fortführung dieser Bestrebungen im Bauernkrieg scheiterte. Die Fürsten der deutschen Kleinstaaten nutzten die entstandenen protestantischen Landeskirchen als Instrument in ihrem Bestreben nach Emanzipation von Reich und Kaiser.
Und die neue evangelische Konfession erstarrte schnell in festgelegten Denkformen und Dogmen. Sie hatte durch ihre Institutionalisierung längst jegliche Progressivität eingebüßt. Das Luthertum wandelte sich zu einer Familienfrömmigkeit des einfachen Volkes, das seiner Obrigkeit gehorsam dient. Hort dieser lutherischen Orthodoxie war Kursachsen. Jede Abweichung wurde verfolgt - auch Jacob Böhme bekam dies zu spüren.
Eine Antwort auf diese Entwicklung war der schon erwähnte naturwissenschaftliche Rationalismus. Der progressive Flügel der Reformation aber, darunter auch Jacob Böhme, wich in die Mystik und die Naturphilosophie aus. Sie standen in der Tradition mittelalterlicher Bewegung gegen die institutionalisierte Kirche. Hier wurden erneut die Fragen nach der "wahren" Reformation, nach einer menschenwürdigen Gesellschaft, nach einem schöpferischen Verhältnis zur Natur gestellt. Dabei berief man sich auf ein nicht orthodox eingeengtes Christentum. Neue Gottesvorstellungen tauchten auf. Das Wesen Gottes wurde gleichgesetzt mit dem Wesen der Welt (Pantheismus). Die Einheit von Mensch und Gott sollte unter Ausschaltung der Priesterhierarchie möglich sein.
Hier zeigte sich ein neues Menschenbild. Der aktive, schicksalsgestaltende Mensch war nicht mehr passiv ausgeliefert, sondern löste sich von den mittelalterlichen Fesseln, um die Natur zu erkennen und zu gestalten. Gott erwuchs aus dieser Selbsterkenntnis des Menschen heraus.
Sprache und Stil der Werke Böhmes machen einen Zugang zu ihnen nicht einfach. Sie sind vor allem aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Ob sie einem heute noch etwas geben, sollte jeder für sich selbst entscheiden. Was bleibt, ist der Beitrag Böhmes zur Philosophiegeschichte. Der in der Oberlausitz starke Pietismus und die Romantik wurden von seinen Ideen beeinflusst. Vor allem die klassische deutsche Philosophie stand in der Tradition der Dialektik Böhmes. Zeitlos aber bleiben der Mut und die Geradlinigkeit Böhmes, sein Eintreten gegen Engstirnigkeit und für ein selbstbewusstes freies Denken, das uns noch heute Respekt abnötigt.
Lebenslauf
1575
Jacob Böhme wurde in Alt-Seidenberg (heute Stary Zawidów, PL) als viertes von fünf Kindern eines relativ wohlhabenden Bauern geboren.
1599
Nach der Erlernung des Schusterhandwerks, Wander- und Gesellenjahren, wird Böhme in diesem Jahr Meister und Bürger von Görlitz. Er heiratet Katharina Kuntzschmann, die 19jährige Tochter eines Görlitzer Fleischermeisters, kauft ein Haus vor dem Neißtor (heute ul. I. Daszynskiego in Zgorzelec) und mietet eine Schuhbank auf dem Untermarkt. In den folgenden Jahren werden dem Paar vier Söhne geboren.
1610
Nachdem Böhme bereits 1608 sein erstes Haus wieder verkauft hatte, kauft er nun sein zweites Haus direkt an der Brücke und am Ostausgang der Stadt und damit für sein Handwerk verkehrsgünstiger gelegen. Das Haus wird wahrscheinlich schon im 30jährigen Krieg zerstört. Das letzte Haus auf dem Grundstück wird 1905 im Zuge der Baumaßnahmen für die neue Altstadtbrücke abgerissen.
1612
Bis hierhin führte Böhme ein unauffälliges Leben. Doch nun schreibt er die "Aurora", sein bekanntestes Werk. Sein Handwerk tritt bei dieser Arbeit allmählich in den Hintergrund, bis er es ganz aufgibt und seine Schuhbank verkauft. Die Schrift findet durch Förderer schnell Verbreitung. Auf Betreiben des Görlitzer Oberpastors Gregor Richter wird eine Untersuchung gegen Böhme angestrengt. Der Stadtrat unter Bartholomäus Scultetus verwarnt Böhme aber lediglich, verhängt ein Schreibverbot und konfisziert das Original der "Morgenröte".
In den folgenden Jahren veröffentlichte Böhme dann auch keine Schriften, entwickelte aber seine theosophischen Gedanken durch das Studium paracelsischer und alchimistischer Bücher und im Verkehr mit Gleichgesinnten weiter. Er traf sich mit Ärzten, Humanisten und interessierten Adligen. Um die Familie zu ernähren, betrieben Böhme und seine Frau einen Garnhandel, der mit vielen Reisen verbunden war.
1618
Böhme beginnt auf Drängen seiner Freunde wieder zu schreiben. Der Ausbruch des 30jährigen Krieges hatte den Fernhandel ohnehin zum Erliegen gebracht und Böhmes Handelstätigkeit eingeschränkt. Unter dem Eindruck des Krieges will Böhme sich ab jetzt ausschließlich philosophisch betätigen. Er sieht die alten kirchlichen Verhältnisse zugrunde gehen und stellt sich die Erweckung der Christenheit durch eine neue große Reformation zum Ziel. Dazu versucht er eine Gemeinde Gleichgesinnter zu schaffen, schreibt Buch um Buch und gerät in immer stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit von seinen Gönnern.
1624
Nach dem Erscheinen einer gedruckten Schrift von Böhme kommt es erneut zur Auseinandersetzung mit Gregor Richter. Böhme stirbt am 16. November in Görlitz. Er wird auf dem Nikolaifriedhof beigesetzt. Der Diakon muss vom Rat gezwungen werden, die Grabrede zu halten. Das Grabkreuz wird bereits nach wenigen Tagen geschändet. Katharina überlebt ihren Mann nur um ein Jahr.
Schriftenauswahl
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Aurora oder die Morgenröte im Aufgang. 1612/13.
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Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens (De tribus principiis). 1619.
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Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen (De signatrura rerum). 1621/22.
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Erklärung über das erste Buch Mosis (Mysterium Magnum). 1622/23.
Literatur über Jacob Böhme
- Jecht, Richard: Die Lebensumstände Jacob Böhmes. In: Neues Lausitzisches Magazin. Zeitschrift der Oberlausitzischen Ge-sellschaft der Wissenschaften. Bd. 100. Görlitz, 1924. S. 179-248.
- Voigt, Felix: Beiträge zum Verständnis Jacob Böhmes. Vom Wesen seiner Persönlichkeit und seiner Gedankenwelt. In: Neues Lausitzisches Magazin. Zeitschrift der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. 100. Görlitz, 1924. S. 249-301.
- Lemper, Ernst-Heinz: Jacob Böhme. Leben und Werk. Berlin (DDR): Union, 1976.
- Jacob-Böhme-Symposium. Görlitz, 15. und 16. November 1974. Veranstaltet vom Rat der Stadt Görlitz und vom Zentralinstitut für Philosophie der AdW der DDR. Protokollband. Hg.: Rat der Stadt Görlitz. Görlitz, 1977. (Schriftenreihe des Ratsarchivs der Stadt Görlitz, Bd. 8)
Internationales Jacob Böhme Institut e.V.
Die Arbeit des Internationalen Jacob Böhme-Instituts (IJBI) ist am Ort, in dem Jacob Böhme den größten Teil seines Lebens verbrachte, in Görlitz/Oberlausitz, dem Leben und Werk dieses Philosophen gewidmet. Im einzelnen verfolgt das IJBI den Anspruch, die wissenschaftliche und nicht wissenschaftlich ambitionierte Beschäftigung mit Jacob Böhme zu fördern, die Erforschung und Darstellung seiner Lehre, seiner Schriften, seiner Quellen und Nachwirkung sowie der historischen Umstände seines Lebens zu unterstützen sowie ein Forum zu schaffen für den Austausch zwischen Wissenschaftlern, Künstlern und anderen am Werk Jacob Böhmes Interessierten. Das IJBI steht hierzu in engem Kontakt mit der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften (OLB) in Görlitz, die mit ihrer reichen Sammlung an Böhme-Ausgaben und Forschungsliteratur vor Ort ideale Voraussetzungen bietet sowohl für die Auseinandersetzung mit Fragen der Philologie als auch für die Vertiefung in Einzelaspekte der Böhmeschen Lehre.