Gotthold Theodor Thieme
Der Maler Gotthold Theodor Thieme starb in Dresden-Plauen, nachdem er 46 Jahre in Dresden gewirkt hatte. Als geborener Görlitzer blieb er jedoch Zeit seines Lebens seiner Vaterstadt Görlitz eng verbunden, malte im Auftrag des Magistrats mehrere Oberbürgermeister - die Bildnisse befinden sich im Kleinen Sitzungssaal des Rathauses - und vermachte schließlich dem Görlitzer Museum mit seinem Selbstbildnis von 1852, dem Porträt seiner Frau von 1865 sowie weiteren Gemälden einige seiner Hauptwerke. Sie bilden heute den Kernbestand der 16 Gemälde und mehrere Zeichnungen und Graphiken umfassenden Kollektion von Arbeiten Thiemes im Kulturhistorischen Museum Görlitz, das damit als einzige öffentliche Einrichtung einen Überblick über Thiemes Schaffen zu geben vermag - die meisten Werke Thiemes sind 1945 der Bombardierung Dresdens zum Opfer gefallen.
Schon als Kind verfügte Theodor Thieme über ein ausgesprochenes Talent zum Zeichnen und Malen - in seiner Schulzeit am Gymnasium Augustum besserte er das kärgliche Verdienst der Familie auf, indem er für künstlerisch weniger begabte Mitschüler Stammbuchblätter und Landkarten schuf. Aus finanziellen Gründen blieb Theodor das Abitur verwehrt, stattdessen lernte er in der Anstalt seines Vaters das Handwerk des Lithographen. Später ergänzte er seine Ausbildung als Mitarbeiter einer Lithographieranstalt in Dresden und auf Reisen durch Polen. Dank Unterstützung der Stadt Görlitz konnte er dann die Dresdner Kunstakademie besuchen, wo er als Meisterschüler des Düsseldorfer Professors Julius Hübner noch während des Studiums gute Aufträge erhielt. Eine Studienreise führte ihn dann in die damals wichtigsten Kunstzentren Europas, nach Antwerpen und Paris. Weltgewandt und kunsterfahren ließ er sich danach in Dresden nieder, wo er ein florierendes Atelier für Bildnis- und Historienmalerei gründete und sich nebenbei im Immobiliengeschäft betätigte.
Zwar blieben ihm die höheren Weihen als Professor an der Akademie verwehrt, doch waren seine Künste gefragt. Als Auftragswerke entstanden Historien- und Genrebilder zu Themen der Zeitgeschichte. Vor allem aber gehörte er zu den führenden Porträtisten des Dresdner Bürgertums in der Zeit des Historismus. Es erstaunt daher nicht, dass auch die Görlitzer Honoratioren des 19. Jahrhunderts von Thieme porträtiert werden wollten. So malte er u. a. auch den Rektor des Gymnasiums, Carl Gottlieb Schütt, ferner Pastoren, Stadträte und Familienmitglieder.
Das Bildnis war auch im frühen Zeitalter der Fotografie überaus gefragt, ja erfreute sich sogar einer gesteigerten Wertschätzung. Selbst wenn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das neue Medium in höchsten Kreisen Verbreitung und gezielte Verwendung fand, konnte nur der Porträtmaler das Bedürfnis nach Bildern bedienen, die größer waren als die im Format beschränkten Fotoaufnahmen. Die akademische Schulung Thiemes kam dem gewünschten "fotografischen" Abbildungscharakter jener Porträts entgegen. Seine in ihrer trefflichen Schilderung der Charaktere meisterhaften Bildnisse vermögen auch heute zu überzeugen: Sie repräsentieren auf gewandte Weise damaligen Bürgerstolz und führen eine überzeugende Prägnanz der menschlichen Charakterisierung vor Augen.
Gotthold Theodor Thieme, Porträtist des Historismus in Dresden, darf als bedeutendster Görlitzer Künstler in einer Zeit gelten, als seine Vaterstadt sich anschickte zur Großstadt zu werden.
Literatur über G. T. Thieme
Marius Winzeler: Gotthold Theodor Thieme - ein Görlitzer Porträtist in Dresden (1823-1901). Zum 100. Todestag am 31. Oktober 2001, in: Görlitzer Magazin 14/15 (2001).